Aktuelles
Ein Zwischenruf
(Auszüge aus einer Predigt am Sonntag, den 19.08.2018, in der Gastkirche – auf dem
Hintergrund einer Schriftstelle aus dem Johannes Evangelium ( Joh. 6,51-58 ))
„Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“
Ich möchte heute 3 Punkte ansprechen, die mich in Blick auf dieses Selbstverständnis Jesu sehr beschäftigen, in manchem belasten und die ich als Herausforderung für Christen und Kirche erlebe.
Zu den schockierensten Nachrichten der letzten Woche gehören für mich die Ergebnisse der Untersuchungen in Blick auf Mißbrauch in den kath. Bistümern im Bundesstaat Pennsylvenia /USA. Viele von Ihnen /Euch werden vom fassungslosen Umgang von Tätern mit Opfern gehört haben. Die bischöfliche Kirche in diesem Bundesstaat hat sich geschützt und die – mehr als 1000 Opfer allein gelassen... Priester wurden bei Mißbrauchsvorfällen lediglich versetzt...Opfer wurden der Unwahrheit bezichtigt... über 300 Priester sind im Mißbrauch involviert... unvorstellbar!
Vor einigen Wochen die Berichte über Australien, wo es Mißbrauchsvorwürfe gibt in kath.- kirchl. Kinderheimen und im Zusammenhang mit Kardinal Pell, der jetzt aufgrund dessen vor einem australischen Gericht steht.
Vor drei Monaten der Rücktritt der gesamten Bischofskonferenz Chiles angesichts der Situation nach vielfachem Mißbrauch und der Deckung und Verharmlosung dieses Geschehens durch die Kirchenleitung – bis zu Franziskus in den Vatikan.
Vorgestern dann noch der Bericht vom Beauftragten der Bundesregierung für die Aufarbeitung sex. Mißbrauchs, der kath. Bistümern vorwirft nicht wirklich mit ihm zusammen zu arbeiten und Unterlagen vorzuenthalten – obwohl mit und seit 2010 radikale Transparenz hier gefordert ist und – mit Worten- zugesagt wurde...
Das macht etwas mit der „Brotbotschaft des Evangeliums“ und eben mit Menschen in ihrem Verhältnis zu Kirche und christl. Religion / das macht etwas mit jedem Christen und das macht etwas mit mir als Priester, weil es Glaubwürdigkeit, Vertrauen massiv untergräbt, zerstört und auch alles seelsorgliche Handeln und den Dienst als Priester radikal anfragt.
Ich finde den Mißbrauch von Vertrauen – insbesondere im Kontext von Sexualität - im Namen christl. Glaubens oder in Zusammenhang mit ihm unbeschreiblich, zerstörend, beschämend, und in der Auswirkung für alle katastrophal, insbesondere für jedes einzelne Opfer.
Wir in Deutschland sollten jedenfalls - weil durch die offen gewordenen grausamen Geschehnisse in unserem Land sichbar und spürbar soviel an Vertrauenbasis zerstört wurde und wird – seit 2010 gelernt haben. Mir sagt die Erfahrung in unserem Lande – auch im Kontext mit den weltweiten Nachrichten:
Es ist auf Weltebene der katholischen Kirche eine klare Analyse in Blick auf systemische Ursachen für den Mißbrauch und dieses Ausmaß unerläßlich – und wenn es systemische Ursachen gibt – und die sehe ich, dann sind sie zu beseitigen und bisheriges Handeln und Denken ist radikal zu verändern.
Drei Hinweise auf systemische Problematiken:
1. Innerhalb der Moraltheologie gibt es immer noch nicht einen Umgang mit menschlicher Sexualität, der den Grundkonsens der Human-wissenschaften zu dieser Frage auf- und annimmt. Und das nicht, weil wir schlechte Moraltheologen hätten, sondern weil das röm. Lehramt darin einen Verstoß gegen tradierte Sexualmoral sieht und das ablehnt. Eine deontologische Moraltheologie, die jenseits der menschlichen Wirklichkeit Postulate formuliert – ist ein systemischer Baustein zu einem verqueren Umgang mit Sexualität und der derzeitigen „Mißbrauchspolitik“ in Kirche.
Ein weiterer Hinweis:
2. „Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei“ - ein urbiblisches Wort und für Priester wurde in einer bestimmten kirchengeschichtlichen Situation der verpflichtende Zölibat daraus, den nicht wenige als Zwang erleben, die gleichzeitig eine Berufung zum priesterlichen Seelsorger in sich spüren.
Nicht jede menschliche Gemeinschaftsbeziehung führt automatisch in ein inneres und außeres Gleichgewicht und es gibt vielfach gelingendes „Alleinleben“ -auch zölibatärer Priester oder Ordensleute. Aber priesterliche Berufungen nur in ver-pflichtender Verbindung zu einer zölibatären Lebensweise zuzulassen, führt nicht selten zu menschlichen Katastrophen, einschließlich verquerer sexueller Entwicklung– oder zur Konsequenz einer Amtsniederlegung bzw. Suspendierung– irgend-wann... Neben dem Faktum, daß nicht wenige, aufgrund der Bedingungen, ihre Berufung nicht leben.
In den ersten 10 Jahren meines Dienstes, 1986-1996, haben über 150 Priester in unserem Bistum den Dienst aufgegeben...über 80% aufgrund der verordneten Lebensweise...Der Pflichtzölibat ist nicht biblisch und tut – nicht selten, – den Menschen darin im Umgang mit Sexualität nicht gut.
Das Leben und Erleben einer gelungenen Sexualität in der Vielfalt menschlicher Lebensweisen – eingebettet in eine biblisch fundierte und an den Erkenntnissen der Humanwissenschaften orientierte Morallehre - dem nicht wirklich Raum zu geben: ist eine Form der „Brotverweigerung“ auf dem Weg jesuanischer Nachfolge! Mir fällt kein besseres Wort angesichts des heutigen Evangeliums ein.
Ein dritter Hinweis und systemischer Stolperstein:
3. Die alte Vorstellung einer „ecclesia triumphans“ - einer trium-phierenden Kirche“ schon im Jetzt und Hier, die in der Mentalität weiter gepflegt wird in bestimmten Leitungskreisen, befördert ein Denken, das die Institution heil bewahren und retten will – und wo dann alles andere zweitrangig wird. Dann werden in der Folge Opfer der Institution nicht gewürdigt,... werden sie nicht vorrangig gesehen..., ja, versucht man sie mit moralischen oder sonstigen Druck zum Schweigen zu bringen.
Auch dieses Selbstverständnis von Kirche ist eine Form von „Brotverweigerung“!
„Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben...“ - um Leben geht es : hier und jetzt – und einmal für eine Ewigkeit. Das ist der Kirche ins Grundbuch geschrieben.
Es ist allerhöchste Zeit der Herausforderung durch die vielfachen sexuellen Mißbräuche in der katholischen Kirche, und darum geht es mir als Christ und Katholik, einen Rahmen entgegenzusetzen, der das Leben in seiner sexuellen Unverfügbarkeit und seinem einmaligen Wert schützt und schätzt. Das hat für mich angesichts der Opfer und der Folgen mit Umkehr zu tun: persönlich und institutionell – systemisch. Und das geht meines Erachtens nicht mehr ohne Radikalität ( radix – von der Wurzel her) und Nachhaltigkeit, damit der „Geschmack“ am Evangelium in unseren Tagen und künftig nicht ganz verloren geht.
Ludger Ernsting, Pfarrer an der Gastkirche Recklinghausen