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Ansprache Christentum - Judentum
Gedankenimpuls:
Ich bin in einem Elternhaus groß geworden, wo der Judenmord nationalsozialistischer Zeit immer wieder Thema war – und das Unrecht und die Unmenschlichkeit, die darin lag. Meine Eltern, 1940 getraut, haben in den direkten Nachkriegsjahren u.a. Dachau aufgesucht – um das Unbegreifliche vielleicht irgendwie fassen zu können.
Die Auseinandersetzung damit hat mich geprägt. Ich erinnere mich noch an den Ausschwitzprozess im Fernsehen – und als Kind noch – wie dazu Menschen unterschiedliche Haltungen einnahmen. Meine Eltern waren da eindeutig. Das hat mich in der Oberstufe nach Israel geführt – zu einem Kibbuzeinsatz. Wir waren die ersten Deutschen dort 1977. Es waren für alle: die Kibbuzniks und uns bewegende Wochen.
Einige sprachen zum ersten mal wieder Deutsch, haben von ihrem Schicksal erzählt. Das war noch einmal eine andere Erfahrung wie die Erzählungen der Eltern und Familie oder Gespräche über jüdisches Leben und Leid…
Es gibt eine lange deutsch-jüdische Vergangenheit – dafür steht in meiner Geburtsregion das westfälische Landjudentum; in den Kleinstädten, ja selbst im kleinsten münsterländischen Dorf gab es jüdische Mitbürger. Sie gingen bei uns zuhause ein und aus, am Rande von Rheine, wo es 300 Jahre eine große Gemeinde gab und vor 700 Jahren ein erstes schriftl. Zeugnis über einen jüd. Bürger.
Es gibt eine große Geschichte: dafür stehen Namen wie Mendelsohn, Heine, Buber, Einstein, Nelly Sachs...- aber es gibt auch die andere Seite der Geschichte:immer wieder Verfolgungszeiten, Progrome und schließlich die Vernichtung 33-45, politisch strukturell geplant und durchgeführt, aber auch eingebettet in christl. und weltanschaulichen Antisemitismus und in einer emotional aufgeheizten Atmosphäre, wo der Nachbar den Nachbarn ans Messer lieferte, weil er Jude war – oder auch jüd. Mitbürger schützte…
In einem Edikt Kaiser Konstantins 321 wurden erstmals Juden hierzulande in Köln erwähnt. Nach der Zerstörung Judäas und des Tempels in Jerusalem durch die röm. Besatzungsmacht flohen viele Juden in andere Regionen des Mittelmeerraumes und darüber hinaus – bis in den Bereich Germaniens. In Worms, Mainz, Speyer, Köln… entstanden blühende hebräische Gemeinden. Das friedliche Zusammenleben endete jäh, als 1096 nach einem antisemitischen Aufruf von Papst Urban II. Kreuzritter aus dem Frankenreich auf dem Weg ins Heilige Land in Süddeutschland einfielen und die Synagogen zerstörten, jüd. Häuser und Geschäfte plünderten und viele Juden ermordeten. Vergeblich versuchte der Kaiser die Juden zu schützen. Aber die Kreuzritter begeisterten – mit kirchlichem Segen oft – vor Ort für den „reinen und rechten“ Glauben die Bevölkerung und es wurde ein Rauben und Töten. Dieses Progrom wirkte über Jahrhunderte und flammte – verwoben oft mit Greulmärchen über jüdische Bräuche und Ritualmorde – immer wieder in den folgenden Zeiten auf.
Es gab weiter jüd. Leben, aber die Juden waren entrechtet, man zwang sie in eigene Quartiere, die späteren Ghettos, der Besitz von Land und die Ausübung einer Handwerkszunft war ihnen verboten. Nur Kleinhandel und Geldverleih wurden ihnen – wegen des christlichen Zinsnahmeverbotes – gestattet. Das schürte nicht selten - oft durch die Ritter und Zünfte vorangetrieben - Hass gegen sie. Den Schutz davor wiederum ließen sich die Landesherren und Bischöfe gut bezahlen. Daneben gab es immer wieder auch den dezidierten christl. Antijudaismus – durch Prediger und Theologen verbreitet, der eine gefährliche Prägung dem Verhältnis zueinander gab.
Entrechtung, Ausnutzung, Vertreibungen und Verfolgung bestimmte Jahrhunderte, dennoch blieben sie der deutschen Heimat verbunden und suchten hier irgendwie zu leben, mussten leider aber auch oft in andere Länder fliehen.
So entstand das Jiddische, das überwiegend aus deut. Wortschatz besteht und in alle Welt getragen wurde. Auch wussten sie, dass allein ihr Glaube, sein Gesetz und dessen Studium sie geistig unabhängig machten. So wurde die Tora zur portablen Heimat der Juden und der Sabbat immer stärker das tragend Verbindende.
Auch die Reformation hatte für sie hier keine befreiende Auswirkung; eher im Gegenteil – war Martin Luther selbst auch nicht frei von Judenhass.
Erst die Aufklärungszeit brachte eine Veränderung und einen Emanzipationsschub für die jüdische Bevölkerung mit sich. Beispielhaft brachte Lessings „Nathan der Weise“ die Gleichberechtigung der Religionen in der Gottessuche auf den Punkt. Formal hat es dann bis 1881 zur Reichsgründung gebraucht, um die gleichen Rechte und Pflichten hierzulande zu haben. Eine gewisse Blütezeit brach auf: Gesellschaftlich waren die Barrieren aufgebrochen. Ein liberales, bürgerliches Judentum entstand – mit liberalen Gemeinden oder auch jenseits einer Gemeindebeziehung.
Aber der Judenhass blieb präsent – und wurde stärker – zumal in der Zeit von Angst und Not der Jahre nach dem verlorenen 1. Weltkrieg. Und dann setzte mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten der mörderische Antisemitismus ein. Die Rolle der Christen und Kirchen ist dazu äußerst ambivalent – meist schweigend hinnehmend –. Widerstand gegen die Vernichtung unserer älteren Glaubensgeschwister gibt es nur in Ausnahmen und meist nur von Einzelnen in unserem Lande. So nahm die systematische Vernichtung ihren Weg.
1945 waren die deutschen jüdischen Gemeinden fast vollständig ausgelöscht: meist durch Ermordung, auch durch Flucht ins Exil oder – wenn überlebend – mit einer Ausrichtung in eine neue Heimat.
Menschen wie Rolf Abrahamson aus Marl haben hier die wenigen gesammelt – und nach und nach die Gemeinde wieder erstehen lassen.
Das heißt aber nicht, dass deswegen der Antisemitismus mit der Befreiung 1945 beseitigt und begraben worden wäre. Im politischen Bereich und im Verwaltungsbereich war die junge Republik mit ehem. Nationalsozialisten durchsetzt – und bis heute hält sich eine verdeckte - manchmal auch offene- Judenfeindschaft.
Zwei Beispiele: Ich habe im Studium auch Judaistik belegt und es gehörte dazu auch eine schriftl. Arbeit über die Reichsprogromnacht in Rheine. Sie wurde vom Fachbereich an das städt. Archiv geschickt. Dort ist sie nie angekommen – angeblich – und auch nicht nachträglich eingestellt worden – das war in den 80iger Jahren… und als wir von unseren Kirchengemeinden in Dorsten für ein Neubaugebiet die Familiennamen ausgelöschter jüd. Dorstener Familien als Straßennamen beantragten – ist der Antrag 3x verloren gegangen; erst eine Intervention beim Bürgermeister half in der Sache weiter.
Menschen, die sich für Aufarbeitung und Versöhnung engagierten : Juden /Christen... -konnten und können noch ganz andere Lieder davon singen… - von Fritz Bauer, über Ignaz Bubis bis Sr. Johanna Eichmann, in unserer Nähe in Dorsten.
Die rassistischen Angriffe auf jüdische Mitbürger nehmen in der letzten Zeit wieder einmal massiv zu. Der Synagogenanschlag in Hanau hat das noch einmal eklatant gezeigt.
Ein für mich unerklärlicher Antisemitismus hält sich durch die Zeit – selbst bis in unsere Zeit, in der es – Gott sei Dank – wieder vielfältiges jüdisches Leben in unserem gemeinsamen Land gibt und in der christl.- jüd. Beziehung– auch durch eine veränderte theologische Sicht bei uns Christen –vieles neu gewachsen und entstanden ist.
Manchmal ist die konkrete Gestaltung des Miteinanders nicht einfach, weil die in den 80iger/90iger Jahren aussterbenden jüdischen Gemeinden deutscher Prägung viele russisch stämmige Juden als Kontingentflüchtlinge aufgenommen haben. Sie kamen mit der antisemitischen Erfahrung in der russ. Gesellschaft, die sie sehr zurückhaltend sein läßt – und eben auch als Flüchtlinge, wo die erste Generation mit Integration befasst ist – beruflich, sprachlich, gesellschaftlich, jüdisch religiös oft auch … - und da ist die „Christl.- jüdische Ökumene“ - erst einmal nicht das erste Thema. Zudem sind die Leitungskräfte in den wachsenden Gemeinden oft ebenfalls von einem anderen kulturellen und religiösen Hintergrund geprägt, weil es lange Zeit keine Ausbildung mehr dafür im deutschen Bereich – aufgrund der Geschichte gab...
Jesus war Jude, genauso wie seine Jünger und das Christentum ist aus dem biblischen Judentum entstanden – darum gibt es für mich eine unkündbare dankbare Beziehung.
Judenfeindschaft ist Menschenfeindschaft – und richtet sich letztlich auch gegen uns selbst, denn ohne den Juden Jesus hätten wir keinen Zugang zum Gott Israels.
Darum ist auch für mich das Miteinander im Leben und auch das Gedenken der Opfer von Judenfeindschaft und Menschenfeindschaft so wichtig:
wir sind Geschwister und bleiben Geschwister - von IHM beim Namen gerufen.
( Ludger Ernsting )
( mit Gedanken von R. Seligmann )
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Familie Markus, ehemals wohnhaft auf der Steinstrasse 12 in Recklinghausen, hat lange unter uns gelebt, bei uns gewohnt – die Kinder werden auf der Straße gespielt haben / die Erwachsenen sind daher spaziert. Wir laden heute ein – an sie zu denken / und derer zu gedenken, die von ihnen in der Nazi-Zeit ermordet wurden: Ilse, Selma, Ruth und Robert.
Wir laden ein – zum Vorbeigehen bei Ihnen – und im Vorbeigehen das Licht der Kerze als ein Licht der Hoffnung auf den gemeinsamen Gott des Lebens innerlich mitzunehmen. Shalom