Spiritualität

Predigt: Mk 1,40-45

Dieses Evangelium erzählt etwas für Jesus Typisches. Er setzt sich souverän über die Bestimmungen des Gesetzes hinweg, wenn es ihm um des Menschen willen notwendig erscheint. Übrigens auch der Mensch, der ihm gegenübertritt setzt sich souverän über die Ordnung der Gesellschaft hinweg: er hätte eigentlich auf Abstand bleiben müssen – nach den Regeln in der Zeit. Aber seine Hoffnung und Sehnsucht war in dem Moment größer und wichtiger als alles andere.

Die Grundhaltung Jesu, die sich hier und anderswo zeigt, ist, dass der Gegenüber-tretende oder die Begegnende zwar gekennzeichnet ist durch etwas Belastendes oder Trennendes – dass es für ihn aber immer der Mensch ist, dem er begegnet – in einem Respekt und einer Achtung, die ausgegrenzten Menschen Würde und Mensch-sein zurückgibt.

Die frühen Christen/Innen waren von dieser Haltung Jesu wesentlich geprägt. Die sozialdiakonische Prägung der frühen Christengemeinden hat in den ersten Jahrhunderten nicht nur für Arme, Kranke, Witwen und Waisen Fürsorge gelebt, neue soziale Einrichtungen geschaffen und mit „Freien und Sklaven, Griechen und Heiden, Frauen und Männern...“ den Glauben gemeinsam geteilt und gelebt. Sie haben als Minderheit im damaligen römischen Reich nicht unwesentlich dazu beigetragen, die Gesellschaft für benachteiligte, ausgegrenzte und geächtete Menschen zu sensibilisieren. Bei der Frage, wieso das Christentum in der Antike weiter expandierte und nicht in den Untergang der „alten Welt“ hineingerissen wurde, spielt dieser Gesichtspunkt eine wichtige Rolle. Das christliche Leben wurde als attraktiv und befreiend empfunden, weil es über Jesu Handeln und Lehre einen Gott der Liebe mit einer frohen Lebensbotschaft weitergab – und das eben nicht nur mit Worten, sondern in einer Grundhaltung und mit Taten.

Wenn christliches Leben heute nicht mehr oder nur noch sehr wenig als attraktiv und befreiend empfunden und erlebt wird – dann ist uns Christen/Innen da etwas abhanden gekommen: Zentrales! Kann es sein, dass wir uns selbst in einen Untergang hineinreißen – im Sinne von Bedeutungslosigkeit und Aussagelosigkeit…??!!

Ich denke das nicht weniger in letzter Zeit, eher immer öfter:

- wenn ich an den z.T. desaströsen Umgang mit der Aufarbeitung des sexuellen Mißbrauchs in der Kirche denke: sowohl im Handeln von Kardinal Woelki, wie auch im Nichthandeln bayrischer Bischöfe und anderer Verantwortlicher auf der Leitungsebene der Bistümer in zurückliegenden Jahren…

- wenn ich an die „Verwaltungisierung“ des christlichen Gemeindelebens denke. Das „Gesetz“, das sowohl Jesus wie der Aussätzige übertritt – hat heute andere Paragraphen, die das Generalvikariat apostrophiert und die die Zentralrendanturen verwalten: es gebiert sich aber ebenso absolut und eben neben dem Evangelium...

-wenn ich an den Sumpf in der römischen Zentrale und ihren Kongregationen denke.

Man braucht dazu nicht einmal das Buch von Frederic Marcel, Sodom, gelesen haben…

- wenn ich an den „Dauerlockdown“ denke: von Gemeinden, in denen „nichts läuft“ und von Getauften, die den Geist in sich erstickt oder ermüdet haben …

--dann ist es schwer, dass der Gott der Liebe mit einer frohen Lebensbotschaft noch wahrgenommen werden kann.

Aber da gibt es – Gott sei Dank – auch das andere: Menschen, die den Gott der Liebe und Zentrales seiner frohen Lebensbotschaft überkommen lassen / Menschen, in denen das Feuer des typisch Jesuanischen brennt / Mitmenschen, die dem befreienden, dem bereichernden Impuls der Gottesfreundschaft und Menschlichkeit ein Gesicht geben.

Ich denke an Martin Kollek aus der Nähe Paderborns– und mit ihm an alle, die sich für Flüchtlinge im Mittelmeer ganz konkret im Einsatz der Seenotrettung einbringen. Sie lassen sich beruflich freistellen dafür oder nehmen eine Auszeit, um keinen Flüchtling ertrinken zu lassen. Sind die Flüchtlinge weltweit nicht die „Aussätzigen“ der Nationen, die ihnen die Heimat rauben – oder ein neues Zuhause verweigern? Martin Kollek hat manches mal die Hände ausgestreckt, berührt – und gerettet. Das ist, so glaube ich, nicht weit weg vom Evangelium.

Ein Mensch, der den Gott der Liebe und Zentrales seiner frohen Lebensbotschaft an einer lebensentscheidenden Stelle eingebracht hat. Das spricht – und da spricht etwas.

Ich denke an Johanna Müller, 17jährige Schülerin aus Harsewinkel- Marienfeld – und mit ihr an alle, die sich in die aktuellen Themen des Weges der Kirche hierzulande beim „Synodalen Weg“ kreativ, mutig und jesuanisch einbringen. Sie strahlt nicht nur eine Freundlichkeit aus, sondern es ist eine Freude ihr in den Gedanken und Ideen zuzuhören, wie denn Glaube und Gestaltung von Glaubensleben aussehen kann – auf dem Hintergrund kirchlich-struktureller Ursachen im Glaubwürdigkeitsverlust und sexuellen Mißbrauch. Da kommt etwas über von der Lebensfreude, die bei getauften Menschen mit einhergehen kann. Das ist etwas anderes wie Karnevalsfreude, obwohl die auch schön sein kann. Es hat etwas von „überspringenden Funken“, die man nicht verordnen kann, nicht kaufen – und auch nicht verbieten. Eine ermutigend „andere“!

Und ich denke an Valentin, einen schon etwas älteren Herren – zumindest hat er vor langer Zeit gelebt. Es hat sich von einem Priester Valentin, der im 3. Jahrhundert in Italien lebte, die Legende gehalten, dass er Liebende traute – zu einer Zeit, da die staatlichen Regelungen für Beziehungen nicht so sehr auf Liebe basierten. Gegen den Willen von Staat oder Eltern Liebe zu ermöglichen – und dann als Fluchthelfer für das junge Glück zu wirken: das haben die Menschen behalten! Durch die Zeit haben die Menschen diesen liebenswürdigen Heiligen nicht vergessen, weil er die Würde Schönheit und Freude der Liebe herausgestellt hat. Er hat den Gott der Liebe erfahrbar gemacht – so, dass heute noch am 14. Februar viele Liebende sich unter den Segen dieses Gottes in ihrer Beziehung stellen. Wenn er damit keinen Kernauftrag mit Leben gefüllt hat, dann weiß ich´s nicht…

Das christliche Leben als attraktiv und befreiend zu empfinden, zu erleben – das hat etwas zu tun mit dem Erleben von Parteinahme, Freiheit und Leben aus Evangeliums-nähe. So „spricht und lebt“ die frohe Lebensbotschaft – und der Gott der Liebe.

Man kann vieles „vergessen“, was sich „christlich“ nennt – auch darüber ärgern.

Aber das ist kein Angebot „von gestern“, sondern höchst aktuell und nach wie vor sprechend und ansprechend.

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